Wenn B2B-Firmen zu Medienhäusern werden…
Vom Kampf um die Hoheit über Inhalte und Verbreitung im B2B-Marketing
Erleben wir gerade einen fundamentalen Wandel im B2B-Marketing? Oder sehe nur ich das so, dass sich B2B-Unternehmen in der Kommunikation immer mehr zu eigenen Medienhäusern entwickeln? Vielleicht ist es meine Vergangenheit als Inhaber und Chefredakteur eines Print-Magazins, die zu dieser tendenziösen Sichtweise führt. Eventuell ist es auch die Tatsache, dass mehr und mehr Unternehmen in Content Marketing investieren. Möglicherweise ist es auch die sprunghaft angestiegene Zahl an Stellenanzeigen, in denen Redakteure, Content Manager, Content Creator oder dergleichen von besagten B2B-Firmen gesucht werden. Und dann sind da noch die wirklichen Medienhäuser, die Personal abbauen und zum Teil ganz schließen. Ist das das Ende der Fachpresse, wie wir Sie bisher im B2B kennen?
Was Medienhäuser früher gemacht haben…
Es gab einmal eine Zeit, in der Fachmedien (und damit Medienhäuser) für das B2B-Marketing so wichtig waren, wie die Luft zum Atmen. Das war vor allem so in einer Zeit, als es noch keine Online-Medien gab. Da waren Fachmagazine jedweder Couleur der Sammelplatz für fachlich Interessierte – von der Expertin, die etwas mitzuteilen hat, bis zum Konsumenten. Dazwischen gab es dann Werbeanzeigen in unterschiedlichsten Ausprägungen, von der Kleinanzeige bis zum mehrseitigen Einleger. Und auch das war eine sichere Bank, denn man wurde als B2B-Unternehmen in der gewünschten Zielgruppe für das wahrgenommen, was man angeboten hat.
Heute leben wir in einer stark fragmentierten Medienlandschaft. Nicht nur, dass wir es mit globalisierten Märkten und damit auch mit globalisierten Medien zu tun haben. Fachgebundene Informationen finden sich heute vom TikTok-Kanal, über YouTube-Filme bis hin zum Blog. Medienhäuser im klassischen Sinn sind hier oft nicht mehr vertreten. Oftmals sind es Einzelkämpfer:innen, die in sehr spitz zugeschnittenen Nischen ihr Wissen teilen. Und damit längst auch auf den Radar der Werbetreibenden gelangt sind.
Welche Aufgabe haben Medienhäuser heute noch?
Inzwischen bauen zahlreiche große Verlage über fast alle Branchen hinweg Mitarbeitende ab. Fast alle, denn mit der T3N gibt es ein Magazin, das in den vergangenen Jahren im heiß umkämpften IT-Markt gegen den Trend gewachsen ist. Doch dazu später mehr. Die Regel ist eher die, dass es vermehrt dazu kommt, dass Fachredaktionen geschlossen, oder mit anderen Ressorts zusammengelegt werden. Und das vielbeschworene ChatGPT dürfte ein weiterer Sargnagel für diese Entwicklung sein. Mit den richtigen Prompts lassen sich Artikel einer ganzen Magazinausgabe von nur einer fachlich vorgebildeten Person in kürzester Zeit erstellen. Und auch wenn die Qualität mitunter noch nicht das Level eines Fachredakteurs erreicht, so ist der Trend abzusehen. Fragen Sie einfach mal Übersetzer:innen, da ist der Zug schon lange am Rollen und zum Teil auch bereits abgefahren.
Medienhäuser, Märkte, Meinungen
Menschen und Meinungen zusammenzubringen war damals wie heute die Aufgabe von Medienhäusern. Allerdings haben die meisten Medienhäuser die Transformation von Print zu Omnichannel weder verstanden, noch gemanagt. Dafür reicht ein Blick in die Mediadaten, die oftmals einfach nur eine Fortschreibung einer Hilflosigkeit gegenüber der Komplexität moderner Medienlandschaften ist. Das Ruder hier und heute noch herumzureißen ist eine Herkulesaufgabe, aber das soll hier nicht Thema.
Märkte und Meinungen zum Konsumenten zu bringen bzw. eine Meinungs- und Entscheidungsbildung zu bewirken, ist eine der wesentlichen Aufgaben von Medien und damit von Medienhäusern. Was aber, wenn es immer mehr Kanäle, immer komplexere Kauf- und Entscheidungsprozesse und immer mehr Inhaltsformate gibt? Kann man so etwas überhaupt noch managen? Jein. Vollständig und allumfassend ist so etwas mit normalen Budgets für ein KMU nicht möglich. Da braucht es schon ausgefeiltes Content Marketing und entsprechende Budgetausstattung, um das zu bewerkstelligen. Die Kunst liegt in der Fokussierung und im Umdenken.
Gamechanger Social Media
Mit der wachsenden Bedeutung von Social Media Plattformen, allen voran im B2B-Bereich LinkedIn, verschiebt sich ein jahrelang fest gefügtes Muster. Jetzt braucht es mehr als die halbjährliche oder jährliche Pressemitteilung zur Leitmesse. Inhalte müssen regelmäßig in den Kanälen gespielt werden, idealerweise mit kurzen Videoclips. Dazu braucht es Long Content in Form von Landing Pages, um dort mit Success Story oder Whitepaper die Buyer Journey weiter zu füttern und irgendwann aus einem Lead auch einen Auftrag werden zu lassen. Und darüber hinaus den Customer Lifecycle zu initiieren und zu begleiten. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was aktuell im Kampf um Kunden und Märkte gefordert ist.
Wie können und sollen Medienhäuser diesen Anforderungen gerecht werden? Einzelne Medienhäuser entwickeln sich in Richtung Full-Service-Anbieter und integrieren B2B-Marketing-Agenturen bzw. deren Leistungen in ihr Portfolio. Alles aus einer Hand, von der Broschüre, über die Kampagne bis zum Messestand und den Social Media Beiträgen – ein tolles Versprechen, das aber mindestens einen Makel hat. Neben den Kosten, die für einen externen Dienstleister zu entrichten sind, spricht auch das fehlende Tiefenwissen gegen eine der derartige Struktur. Und dennoch hat all das seine Berechtigung. Und selbst wenn es gut funktioniert, die Budgets da sind und alle happy sind, so bleibt auch hier die Frage nach ausreichenden Ressourcen, um noch einen weiteren Kunden in dieses Konstrukt einzubinden.
Content Marketing inhouse
Ein möglicher Ausweg: Die Inhaltserzeugung ins eigene Unternehmen verlagern. Redakteure einstellen und Kompetenzen für Themen und Inhalte intern aufbauen. Mit dem Makel, dass entsprechendes Fachpersonal auf dem Markt kaum bis gar nicht zu finden ist. Dazu die passenden Strukturen, sowohl fachlich als auch technisch, schaffen und schon ist man als B2B-Unternehmen auf dem besten Weg zum Medienhaus. Denn die Kanäle sind heute für alle offen, es gibt eine große Anzahl an Plattformen, um Inhalte und Meinungen zu verbreiten. Das unternehmenseigene Blog kann mit den richtigen Inhalten einen Top-Ten-Platz in Suchmaschinen erreichen. Das Video auf YouTube zu tausenden angesehen werden. Der Social Media Beitrag mit Likes überschüttet. Die inhaltliche Hoheit liegt heute mehr denn je bei den Unternehmen und die Kanalhoheit nicht zwangsläufig bei klassischen Medienhäusern.
Und dieser Umschwung ist im Markt vorhanden. Die eingangs erwähnten Stellenanzeigen für Content Marketing Manager und Redakteure belegen das. Oftmals steht dahinter aber kein tragfähiges Konzept, denn der Wille zur Inhouse-Content-Erstellung ist noch nicht die Lösung. Es braucht eben auch die Strukturen. Leider fehlt es Marketingabteilungen oftmals am Wissen über Newsroom-Konzepte, Redaktionskonferenzen und entsprechende Tools sowie Prozesse, um Inhalte effizient zu erstellen, wiederzuverwenden und auszuspielen.
Wohin geht die Reise?
Aktuell ist eine kleine Phase der Konsolidierung in Sicht. Das rapide Wachstum an Kanälen ist vorerst gestoppt und es finden Umverteilungen statt: Nutzer von Twitter/X migrieren zu Bluesky oder Mastodon, Tik-Tok wird interessanter für die Zielgruppe 20+ und geschasste Journalist:innen heuern in Unternehmen an. Nun beginnt eine Aufholjagd, zumindest im deutschen Mittelstand: Inhalte der gesamten Buyer Journey müssen erstellt, für unterschiedliche Kanäle aufbereitet und wohltemperiert zum bestmöglichen Zeitpunkt und in wiederkehrenden Zyklen ausgespielt werden.
Diese Aufgaben werden zunehmend auch von externen Dienstleistern übernommen. Die Fallhöhe kann hier beträchtlich sein, was aber nicht per se am Dienstleister liegt: Schlechte oder unvollständige Briefings, fehlende interne Strukturen und eine „Die kümmern sich schon, ich bin raus“-Attitüde sind tödlich für jedes Projekt, ganz unabhängig vom Thema der Zusammenarbeit. Leider in der Content-Praxis ein häufiger Fehler. Auf der Positivseite stehen geringere Kosten im Vergleich zur Festanstellung, mehr Flexibilität, Ausfallsicherheit und zumeist eine größere Expertise. Das muss man gut abwägen und mit den vorhandenen Ressourcen, Budgets und Zielen abgleichen.
Am eigentlichen Ablauf ändert das wenig bis gar nichts: Heute liegen die Inhalts -und Verbreitungshoheit bei den Unternehmen. Natürlich in einer Co-Abhängigkeit von Plattformen, wie YouTube, LinkedIn, Tik-Tok und Co. – aber weitestgehend ohne Einfluss unabhängiger Medien. Ob das ein guter Trend ist, muss die Zukunft zeigen. Unternehmen sind in jedem Fall gut beraten, wenn sie auf diesen Trend aufspringen und Inhalte sowie Kanäle kontinuierlich und regelmäßig auf- und ausbauen. Nur so wird es gelingen, die immer komplexere Buyer Journey inhaltlich zu begleiten und Sichtbarkeit zu schaffen.
Takeaway (TL;DR)
- Früher reichte es, Werbung in einschlägigen Fachmagazinen zu buchen und bei Bedarf redaktionell zu begleiten.
- Inzwischen haben Online-Advertising (SEA, Display, etc.) den klassischen Medien den Rang abgelaufen.
- Eine Folge: Medienhäuser reduzieren die Anzahlt der Mitarbeiter oder schließen.
- B2B-Unternehmen bauen eigene Redaktionen auf, um die Buyer Journey inhaltlich besser zu begleiten und die unterschiedlichen Kanäle zu bespielen.
- KI und Social Media werden diesen Trend noch verstärken.
- Wer in Zukunft sichtbar sein möchte, muss jetzt entsprechende Strukturen, Kanäle und Inhalte aufbauen.
Bildquellen
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